Transferplanung
Die Transferforschung zeigt: Die Anwendung des Gelernten in der Praxis nimmt signifikant zu, wenn die Teilnehmer ihre Transfervorhaben am Ende des Trainings detailliert planen. Dabei geht es entgegen der verbreiteten Meinung nicht primär um das Planen klarer Ziele. Viel wichtiger ist es, dass die Teilnehmer klare Handlungen festlegen, die so genannten Handlungsintentionen. Eine solche könnte lauten: „Nachdem ich mir am Montagmorgen meinen Kaffee geholt habe, frage ich Kollegin X um Feedback.“
Das Planen der neuen Handlungen ist entscheidend, denn in der Situation selbst fahren wir meist wie auf Autopilot und machen das, was wir immer tun: Kaffee einschenken, Computer hochfahren, Mails checken. Feedback einholen ist da längst vergessen. Illusorisch ist es, vom Teilnehmer zu erwarten, dass er diese Handlungen im vollgepackten Arbeitsalltag selbstständig plant. Was nicht im geschützten Trainings-Setting geplant wird, wird nie geplant und damit nicht umgesetzt. Direkt nach dem Training ist die Motivation hoch und der Lerner fokussiert. Kommt er wieder im Arbeitsalltag an, ist er abgelenkt. Intentionen verflüchtigen sich zu vagen Vorhaben und landen in der geistigen Ablage. Konkrete Handlungsintentionen dagegen sorgen dafür, dass die Situation (Kaffee einschenken) als Trigger fungiert und die neue Handlung automatisch auslöst, ohne dass noch einmal kognitive Arbeit erforderlich ist. Studien von Peter Gollwitzer und anderen Motivationsforschern zeigen, dass solche Implementierungsintentionen die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung auf das Doppelte bis Dreifache erhöhen. Aber eben nur, wenn wir die Handlung schon im Motivations-High des Trainings sorgfältig planen.
Auch der Stellhebel Transferplanung funktioniert analog wie digital. Wir können Handlungsintentionen in ein sogenanntes Entwicklungsbuch eintragen oder auf eine Moderationskarte schreiben und mit Transferpartnern besprechen. In der digitalen Variante lösen wir Aufgaben im E-Learning gelöst, posten die Ergebnisse in einem sozialen Netzwerk oder üben etwas im virtuellen Raum. Ob analog oder digital, entscheidend ist wieder weniger die Form, sondern vielmehr, dass wir es umsetzen.
Transfererfolg? Meistens Fehlanzeige!
Schauen wir uns zunächst die Realität in den Unternehmen an. Zahlreiche Experten weisen darauf hin, dass nur ein Bruchteil der in Trainings vermittelten Lerninhalte tatsächlich in der Praxis angewandt werden. So geht der amerikanische Transferforscher Robert O. Brinkerhoff, der sich seit vielen Jahren mit der Messung von Trainingstransfer beschäftigt, davon aus, dass nur einer von sechs Teilnehmern das Gelernte im Alltag anwendet. Von den restlichen fünf probieren vier es aus, geben aber schnell auf. Und einer versucht es erst gar nicht.
Diese magere Ausbeute ist den meisten Trainern und Personalern durchaus bewusst. Doch statt den Transfer bewusst zu planen und steuern, setzen sie zu oft auf das Prinzip Hoffnung und verschleiern die Wirkungslosigkeit des Trainings. So fragen sie zum Beispiel in den Feedbackbögen, von Forschern gerne auch „Happy Sheets“ genannt, die Zufriedenheit der Teilnehmenden ab. Leider sagt diese aber wenig bis gar nichts über den Umsetzungserfolg aus. Denn „zufrieden mit dem Training“ heißt keineswegs „erfolgreich angewandt“. Tritt der misslungene Transfer doch einmal offen zutage, schieben sich Trainer, Personalentwickler, Führungskräfte und Teilnehmende gegenseitig die Verantwortung zu. Keine guten Aussichten für nachhaltige Personalentwicklung.
Aber nun scheint Rettung in Sicht: Technik soll alle Transferprobleme lösen! Digitale Tools und Methoden bieten schließlich tausende Möglichkeiten, Training und Transfer zu revolutionieren. Ist das wirklich so?
Ein spannendes E-Learning oder aufregende technische Lösungen wie Virtual Reality können ein Training tatsächlich bereichern. Im Hinblick auf die Stellhebel, von denen der Transfererfolg abhängt, bewirken sie manchmal tatsächlich wahre Wunder. Jedoch schaffen neue Technologien auch neue Hürden. Nicht jeder Teilnehmende kommt mit Technik gut klar. Das Stichwort dazu lautet „technical literacy“, also technische Kompetenze. Diese kann bei Teilnehmern eines Trainings sehr unterschiedlich sein. Daher ist auch der Zeitaufwand für die Einarbeitung unter Umständen hoch. Die weitverbreitete Skepsis gegen alles Neue und Ungewohnte kommt hinzu – ein weiterer Stolperstein für technikzentrierte Trainings. Außerdem lässt sich selbst mit der besten Technik das Falsche messen: So sagen Clickrates oder die Zeitdauer, in der sich ein User mit der Anwendung beschäftigt hat, wenig über das eigentliche Ziel aus, die Verhaltensänderung am Arbeitsplatz.
Systematisch den Transfer steuern ist die Lösung
Was können die Trainer und die Verantwortlichen in den Unternehmen nun tun, um die Transferquote zu erhöhen? Sie sollten den Transfer bewusst steuern, statt darauf zu hoffen, dass er von selbst passiert. Hierfür gibt es die zwölf Stellhebel der Transferwirksamkeit (siehe Abbildung). Sie setzen in der Organisation, im Trainingsdesign und bei den Teilnehmenden an. Durch entsprechende transferfördernde Tools, die vor, während und nach dem Training greifen, lässt sich so die Transferwirksamkeit systematisch managen und nachweislich steigern.
Unter den Stellhebeln, welche die Teilnehmenden betreffen, sind Aspekte wie Transfermotivation, Selbstwirksamkeitsüberzeugung und Transfervolition.
Stellhebel im Trainingsdesign sind Erwartungsklarheit, inhaltliche Relevanz, aktives Üben und das Planen des Transfers.
Aber auch die Entscheider in den Organisationen können einiges unternehmen, um den Transfer zu erhöhen. Sie können beispielsweise
– ihre Transfererwartungen klar beschreiben,
– Anwendungsmöglichkeiten bieten,
– Freiraum schaffen, damit Lernende mehr Kapazitäten für den Transfer haben,
– Vorgesetzte briefen, die Lernenden im Transfer zu unterstützen sowie
– Peers ermutigen, den Transfer von Lernenden zu unterstützen.
Wie verschiedene Stellhebel den Transfer in Organistionen unterstützen können, lässt sich am Beispiel der Unterstützung durch Vorgesetzte, der Transferplanung und der Transfervolition illustrieren.
Unterstützung durch Vorgesetzte
Die Transferforschung zeigt eindrücklich: Es wird den Lernenden nicht gelingen, neu erworbenes Wissen in der Praxis anzuwenden, wenn die Vorgesetzen nicht mitspielen. Denn sie müssen die Anwendung des Gelernten ermöglichen, fördern und einfordern. Im Idealfall erklären die Führungskräfte vor dem Training die Ziele und besprechen Anwendungssituationen, halten den Lernenden während des Trainings den Rücken frei und sind nach dem Training für Veränderung offen, geben Feedback und fordern die Umsetzung anhand von Aufgabenstellungen aktiv ein. Bewährt haben sich hier beispielsweise Entsendungs- und Rückkehrgespräche oder auch Transferprojekte.
Die Forschung zeigt: Bereits ein kurzes 15-minütiges Gespräch zwischen dem Teilnehmer und seiner Führungskraft steigert den Transfererfolg signifikant. Vor dem Training klären sie beispielsweise die Fragen: Was wollen wir mithilfe der Weiterbildung erreichen – für das Unternehmen, das Team und den Mitarbeiter selbst? Bei welcher Aufgabe kann der Lernende sein neues Wissen anwenden? Und wann besprechen wir die ersten Umsetzungsfortschritte? Dank digitaler Tools lassen sich solche Gespräche auch virtuell führen, gegebenenfalls direkt als Call aus dem Seminarraum oder während eines E-Learning-Moduls. Das entlastet die Vorgesetzten im Arbeitsalltag, trotzdem kommen sie natürlich nicht darum herum, die Gespräche selbst zu führen.
In vielen Fällen regt die Personalentwicklung diesen Austausch zwar an, er findet aber leider nicht statt. Es fehlt den Vorgesetzen an Commitment. Die wichtige Rolle, die Vorgesetzte für den Trainingserfolg ihrer Mitarbeiter spielen, ist ihnen nicht bewusst. Es gilt daher, den Führungskräften vor Augen zu führen, wie entscheidend ihr Beitrag ist. Sie müssen den Nutzen verstehen: Nur so holen sie das Beste aus dem Training ihrer Mitarbeiter heraus! Schon mit zwei, drei interessierten Fragen am Kaffeeautomaten ist nachweislich viel erreicht. Im Grunde ist das Format der Gespräche recht einfach. Lange Leitfäden braucht es nicht. Doch solange die Führungskräfte an Sinn und Zweck zweifeln, hilft die beste Technik nicht weiter. Weder digital noch analog werden sie das Gespräch suchen.
Transfervolition
Es geht um Willensstärke, um das langfristige Dranbleiben. Hierzu gehört unter anderem, sich immer wieder an das Transfervorhaben zu erinnern. Kleine Erinnerungen, in der App-Sprache heißen sie Reminder und Notifications, sagen uns, „Hey, du wolltest doch!“ oder „Es wäre wieder mal Zeit für!“. Solche Anstupser lenken unsere Aufmerksamkeit wieder auf unsere Vorhaben und Aufgaben. Nicht umsonst erforschen und nutzen App-Entwickler exzessiv solche Notifications. Denn diese kleinen Trigger bleiben (erwünscht oder unerwünscht) so lange im Gehirn aktiv, bis wir sie erledigt haben. Diesen Effekt beschrieb als erste die russische Psychologin Bljuma Wulfowna Zeigarnik. Sie fand schon in den 1920er-Jahren bei Experimenten in Berlin heraus, dass Menschen unter bestimmten Bedingungen unerledigte Handlungen besser behalten als erledigte. Dieser Effekt wird heute als Zeigarnik-Effekt bezeichnet.
Im Trainingssetting definieren die Teilnehmer ihre Reminder am besten selbst, beispielsweise in Form von Erinnerungen an ihre Transferaufgaben und -intentionen. Dank Digitalisierung bieten sich hier exzellente Möglichkeiten: In den E-Learnings erinnern Nachrichten oder Termin-Erinnerungen an die selbstgewählten Transferintentionen. Die analoge Variante wäre ein Erinnerungssymbol, das wir aus dem Seminar mitnehmen und auf den Schreibtisch stellen oder in der Hosentasche bei uns tragen.
Den Erfolg unserer Umsetzungsvorhaben können wir digital oder analog tracken. Wir können zum Beispiel in einer App eintragen, an wie vielen Tagen wir es schaffen, Mitarbeiter um Feedback zu bitten. Wir können aber auch ein Maßband nehmen, von dem wir an jedem erfolgreichen Tag ein Stück abschneiden. Wieder ist die Form reine Geschmackssache. Die Hauptsache ist, dass wir den Stellhebel bedienen.
Wie diese drei Beispiele zeigen, können sich digitale Tools als hilfreich erweisen, um den Transfererfolg zu fördern. In bestimmten Einsatzfeldern bieten sie zudem ein besonders hohes Potenzial und große Vorteile. Beim Stellhebel „Aktives Üben“ beispielsweise ist das die Virtual Reality, die eine relativ realitätsnahe Simulation von Notfällen im Seminarraum erlaubt. Beim Stellhebel „Inhaltsrelevanz“ ermöglicht die Digitalisierung maßgeschneidertes und bedarfsorientiertes Lernen auch bei hohen Teilnehmerzahlen. So lässt sich das zeit- und kostenaufwändige Eins-zu-Eins-Lernen mit einem physischen Mentor am Arbeitsplatz ersetzen. Und beim Stellhebel „Unterstützung durch Peers“ erschließen sich durch digitalisierte soziale Gruppen und Netzwerke neue und zeitsparende Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen.
Fazit
Allein durch Digitalisierung wird sich das Transferproblem nicht lösen lassen. Doch für alle, die wirksame Trainings designen wollen, bieten digitale Technologien neue spannende Möglichkeiten auf dem Weg zum Transfererfolg. Das Hauptziel ist, alle transferrelevanten Stellhebel richtig zu adressieren. Ob wir dabei digitale oder analoge Tools wählen oder einen smarten Mix beider Formen bevorzugen, hängt von der Zielgruppe ab. Wie erreiche ich meine Teilnehmer am effektivsten? Diese Frage sollte Trainings- und Transferdesigner bewegen und leiten. Nur so wird am Ende das stehen, was sie anstreben: der wirksame Transfer.
Literaturtipp
Ina Weinbauer-Heidel: Was Trainings wirklich wirksam macht. 12 Stellhebel der Transfer- wirksamkeit. Tredition, Hamburg 2016, 36,90 Euro.
Webtipp
www.transferwirksamkeit.com