Die moderne Arbeitswelt verlangt Höchstleistung – am besten in Teams. Agile Methoden, crossfunktionale Zusammenarbeit, flache Hierarchien und Selbstorganisation sind längst in vielen Organisationen angekommen. Doch was auf dem Papier gut klingt, sieht in der Realität oft ganz anders aus: Reibungsverluste, unausgesprochene Konflikte, lähmende Meetings, Frust und Überforderung prägen vielerorts den Arbeitsalltag. Warum?
Imke Schulz-Hanssen, Teamcoach und Gründerin der Schulz-Hanssen Akademie, bringt es im HRM Hacks Podcast auf den Punkt: Teams scheitern nicht an fehlendem Fachwissen – sondern an psychologischen Mustern, an systemischen Fehlannahmen und an der Erwartung, man könne komplexe Zusammenarbeit mit ein paar Führungsseminaren in den Griff bekommen.
Was es wirklich braucht? Ein Perspektivwechsel. Und den Mut, sich ehrlich mit den Dynamiken auseinanderzusetzen, die Teamleistung blockieren – jenseits von reinen Methoden oder Tools.
Die große Illusion: Führung ist eine Frage des Wissens
Viele Organisationen investieren in Trainings, Coachings und E-Learnings. Führungskräfte werden in mehrtägige Seminare geschickt, um „moderne Führung“ zu lernen. Die Erwartung: Danach soll sich spürbar etwas ändern.
Doch laut Imke Schulz-Hanssen ist genau das der erste große Denkfehler. Führung – insbesondere in komplexen Teams – ist kein reines Wissensproblem. Es geht nicht darum, was jemand weiß, sondern wie er oder sie das Erlernte unter Stress, im Alltag und in schwierigen Situationen tatsächlich anwenden kann.
„Ein Buch über Schwimmen zu lesen, macht dich noch nicht zum Schwimmer“, sagt Schulz-Hanssen treffend im Interview. Auch wenn es inzwischen viele kluge Modelle und Ansätze für Zusammenarbeit gibt – der Transfer in den Arbeitsalltag gelingt oft nicht. Und das liegt weniger an fehlendem Willen, sondern an fehlender Umsetzungsbegleitung.
Teamarbeit scheitert oft – und niemand spricht darüber
Ein weiterer blinder Fleck: die Tabuisierung von Problemen. In vielen Organisationen wird nach außen die Fassade der Hochleistung aufrechterhalten. Intern brodelt es – doch Konflikte werden nicht benannt, Spannungen nicht aufgelöst, Dysfunktionalität nicht adressiert.
Dabei ist es völlig normal, dass es in Teams knirscht. Unterschiedliche Persönlichkeiten, Interessen, Kommunikationsstile und Erwartungen treffen aufeinander. Das ist nicht das Problem – sondern der Umgang damit. Wer Konflikte unterdrückt, tut das oft aus Angst, als schwach oder unfähig zu gelten. Die Folge: Eine Tarnkultur, in der Probleme mit viel Energie kaschiert, aber nicht gelöst werden.
Führungskraft = Superheld: Das alte Bild muss gehen
Noch immer halten sich hartnäckig überzogene Erwartungen an Führungskräfte: Sie sollen Orientierung geben, Konflikte lösen, motivieren, Feedback geben, strategisch denken und zugleich empathisch begleiten – am besten alles gleichzeitig.
Dieses Bild stammt aus einer Zeit, in der Organisationen planbarer und statischer waren. Heute – in der berühmten VUCA-Welt – ist es illusorisch zu glauben, eine einzelne Person könne all das leisten. Es braucht ein Umdenken: Führung ist kein Sololauf, sondern eine geteilte Verantwortung im Team. Führung heißt heute, das Team zu befähigen, sich selbst zu steuern – und Strukturen zu schaffen, in denen alle Verantwortung übernehmen können.
Psychologische Sicherheit: Das unsichtbare Fundament
Ein Begriff zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit von Imke Schulz-Hanssen: psychologische Sicherheit. Sie beschreibt das Gefühl in einem Team, dass man sich zeigen darf – mit Fehlern, mit Unsicherheiten, mit Kritik. Ohne Angst vor Gesichtsverlust.
Psychologische Sicherheit ist kein „weiches Thema“, sondern der entscheidende Hebel für Leistung. Studien von Google („Project Aristotle“) und anderen Organisationen belegen eindrücklich: Teams mit hoher psychologischer Sicherheit sind kreativer, produktiver, innovativer – und resilienter.
Doch diese Sicherheit entsteht nicht von allein. Sie muss bewusst gefördert werden – durch offene Kommunikation, durch klare Moderation schwieriger Themen und durch eine Kultur, in der Menschen sich zuhören, einander ernst nehmen und aufrichtiges Interesse zeigen.
Warum Führung oft wie Elternsein funktioniert – und das nicht immer gut ist
Ein besonders spannender Punkt im Podcast ist die Analogie zur Transaktionsanalyse: Führung in hierarchischen Organisationen aktiviert oft Eltern-Kind-Dynamiken. Mitarbeitende verhalten sich passiv, fordernd oder trotzig – und erwarten „Erziehung“ von oben. Führungskräfte wiederum greifen zu rigiden oder fürsorglichen Mustern, statt auf Augenhöhe zu agieren.
Das Ergebnis: Eine Organisation voller „innerer Teenager“, die sich zurücklehnen, anstatt Verantwortung zu übernehmen. Schulz-Hanssen plädiert dafür, diese unbewussten Muster aufzudecken – und Teams in eine erwachsene, kooperative Haltung zu führen.
Der blinde Fleck im System: Umsetzungsbegleitung fehlt
Was in vielen Entwicklungsprogrammen fehlt, ist der Raum für echten Transfer: das wiederholte Üben, Reflektieren, Anpassen und Lernen im echten Arbeitskontext. Viele Teams wissen theoretisch, wie gute Zusammenarbeit aussieht – sie scheitern aber an der Umsetzung.
Hier setzt das von Schulz-Hanssen entwickelte Teamcamp an – ein digitales Do-it-yourself-Coachingformat, das Teams über mehrere Wochen hinweg begleitet. Es ist kein Training im klassischen Sinne, sondern ein strukturiertes Vorgehen, um schwierige Gespräche zu ermöglichen, Vertrauen aufzubauen und echte Veränderung zu verankern – ohne externe Moderation.
Die Grundidee: Teams haben oft selbst das Wissen und die Lösungsansätze. Sie brauchen keine „Experten von außen“, die ihnen sagen, was sie tun sollen – sondern einen sicheren Raum, um sich selbst zu verstehen und zu verändern.
Zeit ist kein Luxus – sondern eine Führungsaufgabe
Ein weiteres Thema, das Schulz-Hanssen betont, ist der fehlende Raum für Reflexion. In vielen Teams herrscht eine Kultur der Dauererreichbarkeit und des Abarbeitens. Pausen, Rückblicke, Teamretrospektiven oder strukturierte Check-ins werden als „unnütze Zeitfresser“ betrachtet.
Dabei ist genau diese Zeit essenziell, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben. Reflexion ist kein Nice-to-have, sondern zentraler Bestandteil von Führung und Teamarbeit. Wer nie innehält, der sieht auch nicht, wohin er läuft – und ob der eingeschlagene Weg überhaupt sinnvoll ist.
Verantwortung übernehmen beginnt mit Ehrlichkeit
Was braucht es also, um Teams wirklich weiterzubringen? Laut Imke Schulz-Hanssen ist es vor allem eins: den Mut, ehrlich hinzuschauen. Was läuft gut – und was nicht? Wo drücken wir uns vor Klarheit? Welche Verhaltensweisen sind gelernt, aber nicht mehr hilfreich?
Führung beginnt nicht mit Methoden, sondern mit Haltung. Wer bereit ist, eigene Anteile an Teamdynamiken zu erkennen, schafft einen Raum, in dem auch andere sich öffnen können. Genau dort beginnt Veränderung.
Fazit: Teamarbeit neu denken heißt Führung neu denken
Die Zukunft der Teamarbeit liegt nicht in noch mehr Tools, Frameworks oder KPI-Reports. Sie liegt in der Fähigkeit, Beziehungen bewusst zu gestalten, Muster zu erkennen und Vertrauen zu ermöglichen.
Imke Schulz-Hanssen zeigt eindrücklich: Gute Teamarbeit ist keine Frage von Glück oder „richtigen Leuten“, sondern von bewusster Gestaltung. Und sie beginnt immer mit der Bereitschaft, sich selbst in Frage zu stellen – als Führungskraft, als Teammitglied, als Organisation.
Wenn wir diese Haltung kultivieren, kann Teamarbeit wirklich das werden, was sie sein soll: ein Ort, an dem Menschen gemeinsam mehr erreichen, als sie es allein je könnten.